In seinem Aufsatz Die Rhetorik der Zeitlichkeit kritisiert de Man das Symbol als eim Prinzip, die darstellende und die bedeutende Funktion der Sprache zu vereinheitlichen. In dieser Kritik geht es um zweierlei: erstens um das Identitätsprinzip, m ...
In seinem Aufsatz Die Rhetorik der Zeitlichkeit kritisiert de Man das Symbol als eim Prinzip, die darstellende und die bedeutende Funktion der Sprache zu vereinheitlichen. In dieser Kritik geht es um zweierlei: erstens um das Identitätsprinzip, mithilfe dessen das Symbol eine Koinzidenz von Zeichen und Bedeutung für möglich hält, und zweitens um die Problematik der Zeitlosigkeit, die auf die aus dem Identitätsprinzip gefolgerte, abgeschlossene Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten zurückzuführen ist.
Die vorliegende Studie fragt sich, ob solche Kritik auch für Goethes Konzept vom Symbol gelten kann. Einen großen Unterschied zwischen Allegorie und Symbol erkennt Goethe gerade darin, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht, oder im Besonderen das Allgemeine schaut. In der Allegorie, die aus jener Art entstehe, gelte das Besondere nur als Exempel des Allgemeinen. Demgegenüber spreche das Symbol ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken, oder darauf hinzuweisen. Beiden dichterischen Arten ist es also gemeinsam, dass es um einen Versuch geht, sich durch das Besondere auf das Allgemeine zu beziehen. Trotz solcher Gemeinsamkeit weichen die konkreten Praktizierweisen von zwei dichterischen Arten voneinander ab: Während in der allegorischen Methode die Absichtlichkeit des Beispiele für das Allgemeine Suchenden die domonierende Rolle spielt, ist in der symbolischen das lebendige Verhalten des Beobachtenden von Belang. Die Allegorie, in der die subjektive Absichtlichkeit von wesentlicher Bedeutung ist, verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so daß der Begriff im Bilde immer noch begränzt und vollständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei. Im Gegensatz dazu verwandelt das Symbol die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild und so daß die Idee m Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt, und selbst in allen Sprachen ausgesprochen doch unaussprechlich bliebe.
Es zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich, dass der goethesche Begriff des Symbols eine Paradoxie par excellence in sich verkörpert: Die symbolische Aussage über das Allgemeine ist nur deshalb möglich, weil dieses unaussagbar ist. In diesem Zusammenhang scheint de Mans Kritik am Symbol insofern nicht das goethesche Konzept vom Symbol zu treffen, als sie im Symbol ein Prinzip der absoluten Identität und die Zeitlosigkeit erkannt haben will. Goethes Symbolsbegriff versteht sich nicht als eine abgeschlossene, sondern vielmehr als eine offene Form der Darstellung.
Es ist bemerkenswert, daß der symbolische Gesichtspunkt für Cassirer insbesondere die Betrachtung des kulturellen Universums aus einem einheitlichen Blickwinkel erlaubt. In diesem Sinne charakterisiert er den Menschen überhaupt als ‘animal symbolicum’. Den Befund teilt Umberto Eco insofern mit solcher Philosophie der symbolischen Formen Cassirers, als er behauptet, daß Kultur völlig unter einem semiotischen Gesichtspunkt untersucht werden könne. Im Gegensatz zum Postulat der Einheit des Geistes bei Cassirer betont Eco aber, daß jedes Symbol einen infiniten Prozeß von Interpretationen auslöst. Also geht es in der semiotischen Philosophie Ecos um einen offenen Prozeß, genauso wie in der allgemeinen Symboltheorie von Nelson Goodman, der vom Faktum disparater Symbolsysteme ausgeht und damit die metaphysische Prämisse Cassirers durchstreicht. Das wesentliche Prinzip, das dem Symbolbegriff Goethes, dem semiotischen Begriff des Symbols bei Eco und dem Pluralismus der Symbolschemata bei Goodman gemeinsam zugrunde liegt, ist eine offene Form des Denkens.