Im Vernunft-Kapitel der Phaenomenologie des Geistes uebt Hegel Kritik an der Kantischen und Fichteschen Vernunft und arbeitet einen Entwurf zu seiner eigenen Vernunft aus. Die Hauptthese dieses Kapitels laesst sich als 'von der Vernunft zum Geist' ode ...
Im Vernunft-Kapitel der Phaenomenologie des Geistes uebt Hegel Kritik an der Kantischen und Fichteschen Vernunft und arbeitet einen Entwurf zu seiner eigenen Vernunft aus. Die Hauptthese dieses Kapitels laesst sich als 'von der Vernunft zum Geist' oder 'die wahrhafte bzw. verwirklichte Vernunft ist der Geist' ausdruecken. Die vorliegende Arbeit zeigt, wie Hegel mit der Kritik an der Kantischen und Fichteschen Vernunft diese These begruendet. Daraus stellen sich die Grundzuege des eigenen Hegelschen Begriffs der Vernunft heraus.
Hegel sieht in Kants Kategorie als Einheit von Subjekt und Objekt das Prinzip der Vereinigung von Gegensaetzen. Hegel schreibt aber den Gedanken der Kantischen Kategorientheorie nicht dem Verstand zu, sondern der Vernunft, indem er den Kantischen Verstand auf den Namen Vernunft "tauft". Die Taufe bedeutet eine Aufhebung vom Verstand zur Vernunft, vom Kantischen zum Hegelschen philosophischen Prinzip. Diese Aufhebung wird durch die ausfuehrliche Darstellung des Uebergangs von der Vernunft zum Geist im Vernunft-Kapitel der Phaenomenologie des Geistes ausgefuehrt. Der Kantische Verstand wird hier ebenfalls als "Vernunft" bezeichnet. Die Vernunft ist aber zuerst als das philosophische Prinzip Kants der Gegenstand der Kritik. Die unzulaengliche Vernunft hebt sich zum Geist auf, der eben die verwirklichte Vernunft ist.
Die Erhebung von der Gewissheit zur Wahrheit, von der Vernunft zum Geist bedeutet nichts anderes als die Erweiterung des Subjekts und die wahrhafte Vermittlung des Subjekts mit dem Objekt. Wenn das Subjekt wahrhaft mit dem Objekt vermittelt, soll das erstere eben das letztere sein, wie der Idealismus behauptet: das Ich sei alle Realitaet. Kants Philosophie hat aber nach Hegel in der Tat diese Einheit nicht ausgearbeitet. Hegels versucht, das sich auf das menschliche Erkenntnisvermoegen beschraenkte Subjekt der Kantischen Transzendentalphilosophie zu erweitern. Hegel fordert der reinen Kategorie, die Vielheit der wirklichen Welt zu vermitteln. Die Erfuellung bzw. Verwirklichung der reinen, leeren Kategorie soll sich jedoch nicht vom Aussen, sondern vom Innen her ergeben. Das Subjekt soll durch Sich-unterscheiden die Vielheit der Wirklichkeit produzieren. Mit dem Anspruch am Subjekt, die Vielheit des Objekts zu produzieren, ohne subjektiv zu bleiben, konzipiert Hegel einen neuen Transzendentalismus.
Hegels Konzeption einer neuen transzendentalen Philosophie durch die Erweiterung des Subjekts verwirklicht sich durch den Entwicklungsgang des vernuenftigen Bewusstseins hindurch, in dem das Problem der Individualitaet in der Mitte der Diskussion liegt. Mit dieser kritischen Darstellung der Individualitaet befreit Hegel das idealistisch isolierte Subjekt von seiner Einschraenkung. Die Wahrheit besteht nach Hegel nicht in einem, wenn auch allgemeinen, individuellen Subjekt, sondern im absolut allgemeinen Subjekt, das nichts anderes als die wahrhafte Wirklichkeit ist.
Hegel erweitert das empirisch beschraenkte Subjekt Kants zum absoluten, das mit der Wirklichkeit identisch ist. Das Subjekt ist bei Hegel nichts anderes als die Wirklichkeit. Wenn das Subjekt absolut wird, gibt es nichts ausserhalb des Subjekts und das Subjekt ist mit der Wirklichkeit identisch. Das vom absoluten Subjekt innerlich Produzierte ist daher eben die Wirklichkeit. Der Zusammenhang der Wirklichkeit bzw. die Ordnung der Welt ist notwendig vernuenftig, da das absolute Subjekt als verwirklichte Vernunft gemaess seiner immanenten Logik den Zusammenhang konstruiert. Die Vernunft ist nun nicht mehr ein "psychisches" Vermoegen wie bei Kant, sondern als das absolute Subjekt verwirklicht worden, das nichts anderes als Wirklichkeit selbst ist. Durch die Erweiterung des Subjekts zur Wirklichkeit konzipiert Hegel somit eine neue transzendentale Philosophie, in der die Weltordnung unmittelbar mit dem Subjekt als philosophischem Prinzip uebereinstimmt.