Elfriede Jelineks Drama Clara S. (1981), das bislang zumeist nur am Rande der Jelinek-Forschung behandelt und zudem in Korea noch wenig beachtet worden ist, erweist sich als ein praegnantes Beispiel fuer das Œuvre der Nobelpreistraegerin. In diesem 19 ...
Elfriede Jelineks Drama Clara S. (1981), das bislang zumeist nur am Rande der Jelinek-Forschung behandelt und zudem in Korea noch wenig beachtet worden ist, erweist sich als ein praegnantes Beispiel fuer das Œuvre der Nobelpreistraegerin. In diesem 1982 uraufgefuehrten Theaterstueck mit dem ironisch anmutenden Untertitel “musikalische Tragoedie” kommt die inzwischen vieldiskutierte Sprach- und Kulturkritik der oesterreichischen Autorin gelungen zum Ausdruck, und zwar samt ihren damit zusammenhaengenden Entmythisierungsstrategien wie - oft bessssende - Ironie, Parodie oder Satire: Sprachmittel, die im Kontext mit Inter- und Metatextualitaet ihre volle Wirksamkeit erzielen. Keine Figur, auch nicht die weibliche Protagonistin, bleibt von dem entlarvenden Blick der sprachkritisch geschulten Autorin verschont, so dass sich das Stueck durchweg eher als eine Tragikomoedie entpuppt. Darin ist der geistesgeschichtlich belastete Mythos “Genie” das zentrale Vehikel von Jelineks Sprachspiel. Da ist der italienische, nietzscheanisch-dionysische ‘Dichterfuerst’ Gabriele D'Annunzio, eine Goethe- und Nietzscheparodie, der lediglich als wolluestiger Frauenverehrer und -schinder sowie als ein machtbessener Faschist erscheint, der aber letztlich an seiner Altersschwaeche jaemmerlich zugrundegeht. Sein deutscher Kuenstlerkollege Robert Schumann soll als geistbetontes und geisteskrankes Originalgenie seinen Gegenpart darstellen, kann jedoch aus seiner wahnhaften Vorstellung von kreativem Kunstschaffen nicht herausfinden und produziert am Schluss nur noch “Schmachtfetzen”, die lediglich Kopien von Kopien sind. Aber auch die Titelfigur und verhinderte Komponistin Clara Schumann wird als eine durchaus ambivalente Person entlarvt, die einerseits mit feministischen Spruechen nur so um sich wirft und somit die frauenfeindlichen Diskurse der bestehenden Gesellschaft zu dekonstruieren versucht, andererseits aber mit ihrem naiven Konformismus nur noch die patriarchalischen Alltagsmythen zu reproduzieren vermag. An all diesen und weiteren Figuren gelingt es Jelinek meisterhaft, durch das Auseinanderklaffen des einen Textes, der eine Figur repraesentieren soll, und des Praetextes der anderen, auf den sie sich bezieht, ein ironisches Licht auf die sprechende Person fallen zu lassen. So stehen alle Figuren am Ende als Opfer ihrer eigenen Sprache bzw. Gesinnung da, also als Opfer ihrer selbst und damit als Mittaeter ihrer Tragoedie. Denn jeder Mensch, Frau oder Mann, mit welcher Klassenzugehoerigkeit oder Nationalitaet auch immer, ist eine Konstruktion seiner Sprache, die ihrerseits bereits auch eine Konstruktion des Menschen ist, und somit Produktion seiner selbst. Hier rechnet also die deutschsprachgige Autorin, laengst als eine der wichtigsten SchriftstellerInnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur hervorgetreten, mit ihrem eigenen Literatur- und Kulturerbe ab und schafft eine neue Schreibweise, die weder als feministisch im engsten Sinne des Wortes noch als postmoderne Sprachexperimentiererei zu bewerten ist. Jelinek geht es - wie schon immer in ihren Werken - nicht um den Entwurf irgendeiner Geschlechtsidentitaet, was ja letztendlich bloss eine Spiegelfechterei mit ihrem eigenen Schattenbild waere, sondern um die Sichtbarmachung des Menschen als Spracherzeuger und -produkt zugleich: um Historisierung des Mythos, Rückführung der Natur auf ihre verdeckte Geschichte also. Die Autorin, die lange missverstanden wurde, nicht nur von den maennlichen Kritikern, sondern auch von ihren Artgenossinnen, erweist sich, wie ich meine, als eine ‘Gender-Forscherin’, wenn unter Gender-Forschung eine Spielart verstanden werden kann mit (selbst)kritischem Interesse an Menschen als sprachliche Wesen und im Zusammenleben ohne jeden Unterschied von Geschlecht, Rasse und Klasse, aber auch Glaubensorientierung etc., die einer menschenwuerdigeneren Zukunft entgegenstreben.